Zeitzeugen

6. Juli 2023 | Allgemein

Im Hinblick auf die Klarheit und das bessere Verständnis historischer Sachverhalte ermöglicht die Schule oft die Erfahrung dieser Sachverhalte durch die Erzählungen von Zeitzeugen. Auch in diesem Jahr wurde diese Methode im Rahmen der elften Klasse erneut angewandt.

Die aktuelle Dozentin, Mme. Scheier, wurde nach dem Krieg geboren und begann nach dem Tod ihrer Mutter, das Überleben ihres bereits 1953 verstorbenen Vaters zu erforschen. Ihr Vater, ein gebürtiger Berliner, hatte sich vor dem Wahlsieg der Nationalsozialisten unternehmerisch nach Paris begeben und lebte dort bereits lange vor dem Ausbruch des Krieges. Trotzdem wurde er zu Beginn des Krieges in Frankreich aufgrund seiner deutschen Herkunft verhaftet und interniert. Aus diesem Grund trat er der Fremdenlegion bei und wurde zu Beginn des Krieges in Nordafrika für Frankreich eingesetzt. Nach seiner Rückkehr lebte er im unbesetzten Teil Frankreichs und tauchte im Laufe des Krieges unter einem falschen Namen unter. Im Jahr 1944 wurden er und seine Familie von einem anderen Dorfbewohner, dessen Identität bis heute ungeklärt ist, denunziert. Die einzige bekannte Information über diese Person ist, dass sie französischer Herkunft war. Mme. Scheier betonte die Bedeutung dieses Faktes und verdeutlichte, warum ein Denken in Schubladen und starren Kategorien falsch ist. Sie betonte mehrmals, dass es weder das absolute Weiße (die Franzosen) noch das absolute Schwarze (die Deutschen) gibt.

Nach der Denunziation wurden Mme. Scheiers Vater und seine Familie in das Lager Drancy gebracht, das als Sammellager für Deportationen diente. Das Lager wurde 1942 von deutschen Besatzungstruppen im besetzten Frankreich eingerichtet. In Drancy befanden sich tausende jüdische Menschen, die unter entsetzlichen Bedingungen auf ihre Deportation in die Konzentrationslager im Osten, insbesondere nach Auschwitz, warteten. Die Lebensumstände in Drancy waren von Enge, Hunger, Krankheiten und der ständigen psychischen Belastung geprägt, da die Menschen nie wussten, welches Schicksal sie erwartete.

Schließlich wurden Mme. Scheiers Vater und seine Familie mit dem Konvoi Nr. 70 von Paris nach Auschwitz deportiert. Auschwitz war das größte Vernichtungslager, das von den Nazis während des Zweiten Weltkriegs betrieben wurde. Es bestand aus den Hauptlagern Auschwitz I, Auschwitz II (Birkenau) und Auschwitz III (Monowitz). Auschwitz war bekannt für den systematischen Massenmord an Millionen von Menschen, insbesondere Juden, aber auch an Sinti und Roma, politischen Gefangenen, Homosexuellen und anderen als „unwert“ erklärten Personen.

Die Ankunft in Auschwitz bedeutete für die meisten Menschen den sicheren Tod. Bei der Selektion wurden die Neuankömmlinge in „arbeitsfähige“ und „nicht arbeitsfähige“ Häftlinge aufgeteilt. Die „nicht arbeitsfähigen“ Häftlinge wurden sofort in den Gaskammern ermordet. Diejenigen, die als „arbeitsfähig“ eingestuft wurden, mussten unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten. Sie wurden brutal misshandelt und waren ständig der Gefahr von Exekutionen, medizinischen Experimenten und epidemischen Krankheiten ausgesetzt.

Die Todesmärsche, an denen Mme. Scheiers Vater gegen Ende des Krieges teilnahm, waren gezielte Evakuierungen der Konzentrationslager durch die SS, um die Verbrechen zu vertuschen und die überlebenden Häftlinge vor der Befreiung durch die Alliierten zu verbergen. Die Häftlinge wurden in grausamen Märschen über weite Strecken getrieben, ohne angemessene Verpflegung und medizinische Versorgung. Tausende von ihnen starben an Erschöpfung, Krankheiten oder wurden von den Wachmannschaften erschossen.

Es ist von großer Bedeutung, diese historischen Hintergründe zu verstehen und in Betracht zu ziehen, um das Leiden und die Grausamkeiten während des Holocausts und der Verfolgung der Juden angemessen zu erfassen. Die Erzählungen von Zeitzeugen wie Mme. Scheier tragen dazu bei, die individuellen Geschichten und das menschliche Leid inmitten der historischen Ereignisse zum Ausdruck zu bringen. Durch die Arbeit mit Archivdokumenten im Rahmen der Exkursion konnten die Schülerinnen und Schüler zudem Parallelen und Unterschiede zwischen den rekonstruierten Lebensgeschichten und der von Mme. Scheier erzählten Geschichte erkennen. Diese Aufgabe diente auch als Vorbereitung auf das nachfolgende Gespräch.

Klemens Begemann und Marc Hilbig

 

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